Jugend -Video Power im Offenen Kanal
Chance oder Alibi ?

Seit Mitte der 80er Jahre gibt es die Einrichtung des Bürgerfernsehens. In Ludwigshafen ging als Pilotprojekt für die Bundesrepublick der erste Lokalbürgersender ans 1984 ans Netz.

In Hessen wurde der erste Sender 1991 in Kassel in Betrieb genommen.

Die Möglichkeit BürgerInnen TV- Sendungen produzieren und senden zu lassen, ermöglichte die Novellierung der Landesrundfunkgesetze, die in den einzenen Bundesländern sehr unterschiedlich ausfallen. Fast jede Großstadt verfügt mitlerweile über einen "Offenen Kanal" und noch in diesem Jahr wird in Gießen der 2. Offene Kanal für Hessen ans Netz gehen.
Für Frankfurt/Offenbach besteht die Planung , daß ab Anfang 1997 der Bürgersender in Betrieb gehen soll. Genaue Daten und Fakten zu diesem Thema wird Frau Jaenicke als Leiterin der Offenen Kanäle in Hessen zu diesen Punkten vortragen.


Wie funktioniert der Offene Kanal?

Der Offene Kanal ist ein Bürgersender, der ausschließlich in der Produktion von TV-Sendungen und öffentlichen Ausstrahlung ( im Kabelnetz) in der Verantwortlichkeit der BürgerInnen liegt. Die für den Kanal vorgesehene Sendung wird über die Produzenten beim Sender angemeldet und dort mit den Verantwortlichen mit einem Sendevertrag in das Programmschema mit genauer Sendezeit vereinbart. Die Produzenten der Sendungen unterschreiben eine Erklärung, die verbindlich die Verfügung über Urheberschaft und Sendeinhalte als Einzelperson bestätigen. Für Inhalte und Aussagen haftet die Einzelperson.
Der Offene Kanal nimmt in keinerlei Weise Einfluß auf Inhalt und Umfang der Sendungen für die jede Person selbst verantwortlich ist.Der Sendetermin regelt die Warteschleife, d.h. bei Anmeldung der Sendung entscheidet die Gesamtanzahl der angemeldeten Sendebeiträge, zu welchen Termin der Einzelbeitrag gesendet werden kann. Die Urheberrechte von Musikträgern über die Gema werden mit einem vorgegebenen Tarif im geringfügigen Gebührensatz zwischen Produzenten und Sender abgerechnet.

Wer darf teilnehmen am Offenen Kanal?

Grundsätzlich jeder Bürgerin/ Bürger die ihren Wohnsitz im Sendegebiet nachweisen können!
Parteien, wirtschaftliche und politische Interessengruppen sowie Werbesendungen dürfen grundsätzlich nicht vom Sender ausgestrahlt werden.


Der Standort des Senders wird in Offenbach zentral in der Innenstadt gelegen sein und ist ebenso für das Frankfurter Sendegebiet zuständig In 350.000 Haushaltender beiden Mainstädte kann der Offene Kanal über das Kabelnetz empfangen werden. Über umfangreiche Erfahrungen in Nutzung/Akzeptanz des bisher einzigen lokalen Senders in Hessen, der seit mehreren Jahren besteht, wird Frau Jaenicke ausführlich berichten.


Stimmen von Medienexperten zum Offenen Kanal:

Herbert Scherer der saarländischen Expertengruppe zum Offenen Kanal : Die offenen Kanäle ermöglichen einen prinzipiell neuen Umgang mit den Medien, und ihr Überleben wird nicht von der Zahl der Zuschauer abhängen, sondern davon, ob dieses Angebot gesellschaftlich aufgegriffen werden und selbstverständlich wird: wenn Medien als Kommunikationsmittel und nicht nur als Berieselungsinstrumente erfahren werden.

Der Offene Kanal ist kein Massenmedium im klassischen Sinn, sondern wird ein Minderheitenprogramm bleiben. Dies liegt immanent in der Arbeitsweise, der Organisationsstruktur und in dem Selbstverständnis eines Offenen Kultur- und Kommunikationsforum. Schließlich will auch nicht jeder eine Radio- oder Fernsehsendung produzieren wollen. Gleichwohl ist ein Offener Kanal ohne Öffentlichkeit ein toter Kanal.

Selbstverständlich müssen die Seherinnen und Seher des Offenen Kanals manchmal gehörige Abstriche von ihrem gewohnten Rezeptionsstandard machen, denn schließlich sind die gesendeten Beiträge in der Mehrzahl nicht von Profis hergestellt, sondern von TV- Laien , die ihr ureigenes Anliegen an eine Öffentlichkeit bringen wollen. Will man nicht gänzlich auf Zuschauer beim Offenen Kanal verzichten, so muß man zumindest in Ansätzen diese veränderten Rezeptionsgewohnheiten berücksichtigen, ein Mindestmaß an technischen, dramaturgischen und inhaltlichen Standards beachten. Diese Entscheidung liegt jedoch bei den Produzentinnen und Produzenten des Offenen Kanals selbst, nicht beim Leiter des Offenen Kanals.
Vom Anspruch, vom Inhalt und von der Machart sind die Sendungen des Offenen Kanals in etwa vergleichbar mit Betriebs- oder Vereinszeitungen, Flugblättern, Schüler- und Studentenzeitungen, Plakaten und Leserbriefspalten - nur elektronisch hergestellt und verbreitet.

Die in Artikel 5(1) des Grundgesetzes verbürgte Meinungs- und Informationsfreiheit erreicht erstmals mit dem Offenen Kanal für den Bereich der audiovisuellen Medien eine individual - rechtliche Dimension. Dennoch wurde und wird dem Offenen Kanal medienpolitisch häufig nur eine untergeordnete Rolle als "Vielfaltreserve" oder Alibi zugeschrieben, um die Akzeptanz des Gesamtprojektes der medialen Umorganisation zu fördern ( duale Rundfunkordnung u.a.). Für andere wiederum ist er die elektronische Spielwiese für Spinner und Freaks, " der verrückte Kanal" ; aber die Zahl derer, die den Offenen Kanal ernst nehmen, wächst.

Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine äußerte seine postiven Erwartungen zur Einrichtung von Offenen Kanälen im Saarland folgende Bemerkungen:

Wir hoffen meine Damen und Herren, daß der Offene Kanal von unseren Bürgern als ein Medium für den freien Austausch von Informationen, Meinungen und Standpunkten, von Wünschen, Erlebnissen und Gesprächsangeboten, also ein weiteres Angebot für die demokratische und soziale Kommunikation genutzt werden wird.


Will man erklären, was ein Offener Kanal ist und was er ganz und gar nicht ist, so stößt man fast auf unüberwindbare definitorische Probleme.

Die kürzeste und prägnanteste Erklärung dessen, was ein Offener Kanal ist, wurde vom ehemaligen Intendanten des westdeutschen Rundfunks, von Sell, geprägt: "Rundfunk gehört den Bürgern".
Dies trifft den Kern des Selbstverständnisses eines Offenen Kanals . So stehen auch alle Flugblätter, Informationsbroschüren und Plakate des Offen Kanals in Dortmund unter dem Motto:"Private Bürger machen ihr Programm".

Die Idee, daß Bürgerinnen und Bürger ihr eigenes Rundfunkprogramm machen, ist so alt wie das Rundfunkmedium selbst. Kurz nachdem 1923 in Deutschland die ersten Radiosendungen über den Äther gingen, verlangten vor allem die Organisationen der Arbeiterbewegung eine Beteiligung an der Produktion von Sendungen, ja sie forderten sogar eigene Sender.
Diese Postulate blieben in Deutschland unrealisiert. Die Arbeiterradiobewegung mußte sich auf Trockenübungen beschränken (Bastelstunden für Radios u.ä.).


Auch der Schriftsteller Berthold Brecht formulierte bereits 1932 in einer Rede vor Programmverantwortlichen:

" Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln... Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h. er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hörend, sondern auch sprechend zu machen und ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren."

( Berthold Brecht: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat " , 1932)


Ähnliche Forderungen stellte auch sein Schriftstellerkollege Walter Benjamin auf. In der 70er Jahren war es Hans Magnus Enzensberger, der die medientheoretische Partizipationsdebatte wiederbelebte.


In der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Idee des Bürgerrundfunks erst ab dem 1. Januar 1984 verwirklicht, als der Offene Kanal Ludwigs hafen im Rahmen des Kabelpilotprojektes als erster Offener Kanal auf Sendung ging. Weitere Offene Kanäle folgten.

Einen definitorischen Alleinvertretungsanspruch in Sachen Offener Kanal gibt es nicht. Jeder Offene Kanal muß seine gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen im Umfeld beachten. Jedes Bundesland muß seine eigene Entwicklung, seine eigene Variante der Weiterentwicklung Offener Kanäle finden; folgende allgemein anerkannte Orientierungs- und Bestimmungslinien lassen sich herausdestillieren:

Der Offene Kanal ist ein Rundfunksender, in dem nicht- professionelle Radio- und Fernsehbeiträge gesendet werden. Der Offene Kanal ist eine Form von Bürger- Kommunikation, die allen kostenlos zur Verfügung steht.

1. Einzelne Personen und gesellschaftliche Gruppen, Organisationen, Vereine, Verbände und Institutionen können hier selbständig eigene Beiträge für Hörfunk und Fernsehen herstellen und verbreiten. Inhalt und Form der Beiträge bestimmen die Nutzerinnen und Nutzer des Offenen Kanals selbst. Die Beiträge dürfen keine kommerzielle und parteipolitische Werbung enthalten.

2. Der Offene Kanal ist die Anwendung des Artikel 5 (1) des Grundgesetzes (Meinungs- und Informationsfreiheit) auf die elektronischen Medien.

3. Der Offene Kanal ist keine Rundfunksanstalt im herkömmlichen Sinne, die auch rein technische Produktions- und Abspielstätte ist, vielmehr eine Begegnungsstätte, ein Forum der Kommunikation und Kultur.

4. Folglich ist der Offene Kanal kein journalistisches Medium im klassischen Sinne, vielmehr ein kommunikatives, kulturelles und soziales Instrument. Er unterliegt nicht journalistischen Kriterien der Ausgewogenheit, Aktualität etc., sondern ist parteilich im Sinne von Partei ergreifen. Ein Programmauftrag in gesetzlicher Form existiert nicht. Das Programm wird von den Bürgerinnen und Bürgern selbsttätig initiiert, produziert und verantwortet.

5. Der Offene Kanal ist daher kein Konkurrenzmedium zu den existierenden Rundfunkanstalten. Er ist vielmehr eine kommunikative und sozialkulturelle Bereicherung der Medienlandschaft, vor allem im lokalen und regionalen Bereich.

6. Der Offene Kanal ist primär ein Interaktionsmedium, kein Massenmedium. Er ermöglicht den Dialog zwischen Kommunikator (Macher) und Rezipient (Zuschauer), den Rollenwechsel zwischen beiden Positionen, was bei der traditionellen Rundfunkkommunikation nicht möglich ist.

Als Zielsetzung des Offenen Kanals stellte die saarländische Expertengruppe Offener Kanal drei Schwerpunkte heraus:

a) Qualifizierung der lokalen Kommunikation
Hauptziel : Belebung des öffentlichen Lebens im Lokal- /Regionalbereich auf eine neue Weise; Erweiterung des Meinungssprektums in kommunalen/regionalen Fragen.

b) Soziale Qualifizierung von Bürgerinnen und Bürgern
Hauptziel: Bisher unterrepräsentierten Personen neue Perspektiven und Bedürfnisse aufzeigen und ihnen den Weg zur Teilhabe am öffentlichen Leben zu ebnen. Durch die Erfahrungen mit dem Offenen Kanal sollen Gruppen ermutigt werden, sich zu organisieren.

c) Kommunikative Qualifizierung von Rezipienten
Hauptziel: Stärkung kommunikativer Kompetenz der Rezipienten gegenüber Massenmedien bzw. öffentlichen Komunikatoren, besonders bei jenen Nutzergruppen, die im Massenkommunikationsprozeß benachteiligt sind.


Presseerklärung zum Offenen Kanal für Offenbach und Frankfurt des Arbeitskreises medienpädagogischer Einrichtungen in Frankfurt und Offenbach.

Der Arbeitskreis Film und Medien, insbesondere die Einrichtungen der Kinder- und Jugendförderung, begrüßt die Einrichtung des Offenen Kanal für Offenbach und Frankfurt.
Mit den zukünftigen Möglichkeiten,eines von Offenbacher und Frankfurter Bürgern selbstgestalteteten TV- Programms , kann sich die Vielfalt beider Metropolen präsentieren und u.a. zum Forum einer eigenständigen Informations- und Kommunikationsstruktur für Kinder und Jugendliche entwickeln.

Schon im Vorfeld der Inbetriebnahme des Offenen Kanals, besteht innerhalb des Arbeitskreises, der sich aus medienpädagogischen Einrichtungen in Frankfurt und Offenbach zusammensetzt, ein reichhaltiges Angebot von interessannten Kinder und Jugendvideoproduktionen, Clips und Magazine, daß die Attraktivität und den kulturellen Wert der audiovisuellen Medienarbeit einer breiten Öffentlichkeit vermitteln kann.
Die langjährigen praxisnahen und medienpädagogischen Erfahrungen der Arbeitskreismitglieder werden in und um Offenbach und Frankfurt sicherlich Impulse und Anregungen zu einer umfangreichen aktiven Fernseharbeit bei Kindern und Jugendlichen bewirken. In verschiedenen Projekten werden z.Zt. schon Beiträge für den im Januar 1996 ans Kabelnetz gehende Offene Kanal produziert,
wobei dieser bereits jetzt schon einen erheblichen Motivationsschub ausgelöst hat.

Im Zusammenwirken des Arbeitskreises mit dem Offenen Kanal sehen wir Medienpädagogen die Chance, eine aktive Beteiligung anzuregen und auch eine breite öffentliche Akzeptanz bei sonst eher passiv am Medium beteiligten jungen Fernsehkonsumenten zu erreichen.Im Arbeitskreis arbeiten gegenwärtig mit:

Jugendzentrum Nordend/Offenbach, Jugendamt Frankfurt/Abt. Kinder- u. Jugendförderung, Jugendamt Offenbach Abt. Kinder- u. Jugendförderung, Jugendzentrum Dietzenbach, Gallus- Zentrum Frankfurt, Staatliche Landesbildstelle Hessen, Landesfilmdienst Hessen,Medienwerkstatt Frankfurt (MEWI).
Stand von Dez. 1996



In einer Welt, in der ständig wachsende bilderfluten den menschlichen Wahrnehmungsapparat bedrängen, in der zunehmend Medienprodukte zu Waren werden, wird der Passivismus der Rezipienten erhöht. Ein Offener Kanal Kanal kann möglicherweise dazu beitragen, kommunikative Begegnungs- und Handlungsmöglichkeiten zu erschließen , Hilfe und Ferment zur Aufbrechung von Sprach- und Beziehungslosigkeit zu sein.

Medienpolitische und medienpädagogische Erwartungshaltungen gegenüber dem Offenen Kanal dürfen allerdings nicht so hoch angesetzt werden, da ein Offener Kanal nur ein kleiner, bescheidener Baustein im Rahmen eines Projektes der Demokratisierung von Kultur und Kommunikation sein kann. In einem Offenen Kanal ist es jedoch möglich, daß Menschen ohne Rücksicht auf Vorbildung, Herkunft oder Alter ihre eigene Kreativität und Spontaneität erfahren und spüren können. Durch den Prozeß der selbständigen Produktion verlieren die audiovisuellen Medien ihren mythischen Schleier, ihre Unangreifbarkeit und Undurchschaubarkeit .

Die Arbeitsweise dieser elektronischen Medien wird dabei transparenter, die Sendungen professioneller Sendeanstalten möglicherweise kritischer betrachtet. Wer einmal hinter der Kamera stand oder einen Radiobeitrag selbst geschnitten und montiert hat, geht mit der " Realität " die die elektronischen Medien zeigen, anders um.
Zumindest potientiell eröffnen sich verschiedenartige Felder und Arbeitsgebiete des sozialen Lernen und Handelns. Der Offene Kanal wird aber nie in der Lage sein, eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft und der Bevölkerung herbeizuführen und die exixistierenden Ungleichheiten von Chancen im sozialen, politischen, ökonomischen und kommunikativen Bereich unter den Menschen völlig abzubauen. Allzu große Erwartungen sollten hier nicht genährt werden.
Der offene Kanal ist ein soziales und kulturelles Dienstleistungszentrum, ähnlich wie das Jugendzentrum, die Stadtbücherei, das Bürgerhaus. Ein Offener Kanal soll zum selbstverständlichen Bestandteil einer lokalen und regionalen Kulturarbeit werden. Offene Kanäle sind aber auch kulturelle Werkstätten und Lernorte, nicht nur für ihre Nutzerinnen und Nutzer, sondern auch die dort beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind Foren, in denen Begegnung und Kommunikation stattfindet und auch gefördert wird.

Zitat des bereits verstorbenen Zukunftsforschers Robert Jungk:

" PUBLIKUM MACHT PROGRAMM" - das kann eine große Hoffnung sein, weil es nach anderthalb Jahrhunderten vor allem wissenschaftlichen und technischen Fortschritts endliche eine handgreifliche Möglichkeit zu erhöhter individueller und sozialer Selbstverwirklichung anzubieten scheint. Damit aber die Chance nicht, wie schon so viele Erwartungen in diesem zwanzigsten Jahrhundert, entweder umgebracht oder - schlimmer noch- umgedreht, d.h. in ihr Gegenteil verwandelt wird, müssen wir nicht nur wachsam, sondern auch phantasievoll und erfinderisch sein.

zusammengestellt von:
Werner Rosmaity